Yellowstone Burnout

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Yellowstone Burnout

Zugegeben, der Yellowstone Nationalpark machte uns schon im Vorfeld etwas nervös. Nicht, weil wir dort unbewaffnet auf Bären, Wölfe und Bisons treffen würden (an die Wirkung des Bärensprays glaube ich nicht wirklich); nicht weil wir uns dann im ältesten Nationalpark der Welt (gegründet 1872) befinden würden, der allein schon von seiner geographischen Ausdehnung beeindruckt: Der Park beschreibt fast ein Rechteck mit den Seitenlängen von 100 km und 90 km. Auch nicht, weil wir uns auf einem der größten aktiven Supervulkane bewegen würden, der in einer erdgeschichtlich nahen Zeit wahrscheinlich ausbrechen wird – wobei erdgeschichtlich „nah“ durchaus 10.000 Jahre sein kann. Nein, der Park machte uns nervös, weil wir dort als Radfahrer zu den bedrohten und gejagten Spezies gehören würden. Die Straßen sind schmal, jeder Fahrer konzentriert sich auf Bisons und Wapitihirsche. Insgeheim hofft man aus dem Auto heraus zu filmen, wie ein Bär (mit kuscheligen Jungen) ein Wolfsrudel angreift, das gerade einen Bison erlegt hat. Die Automobilisten rechnen mit dem Unwahrscheinlichsten, nur nicht mit Radfahrern. Die jährlichen 3,5 Millionen Parkbesucher drängen sich dort mit Autos und Wohnmobilen in den Sommerwochen und besonders am Höhe- und Endpunkt der amerikanischen Schulferien: dem Labour-Day-Weekend. Schon Wochen vorher erhielten wir Warnungen wie diese: „Versucht auf jeden Fall das Labour-Day-Weekend zu vermeiden, denn dann sind besonders viele Autos und Wohnmobile im Park unterwegs.“ Ach ja, Labour Day, wann ist das nochmal? Unsere hilfsbereiten Motorradfahrer sagen: „Nächstes Wochenende!“. Gut, dass wir nachgefragt haben. Also verlangsamen wir unsere Fahrt, machen einen Ruhetag im mondänen Örtchen „Twin Bridges“, schreiben nochmal einen Bericht für Euch, waschen Wäsche, schreiben Tagebuch. Wir langweilen uns fast und sind das Pausemachen nicht gewohnt, aber es dient ja dem guten Zweck: Den Rummel im Park großräumig zu vermeiden – denken wir… bis wir erfahren: „Labour Day? Nee, das ist erst übernächstes Wochenende.“ Haben wir also völlig umsonst Pause gemacht. Also schnell wieder auf die Räder, zwei Tagesetappen runtergerissen und schon stehen wir am Eingang zum Park im hässlichen Touristennest West Yellowstone. Super Zeitplanung, sind halt doch deutsch. Dort erfahren wir aber, dass die US-Nationalparks genau heute 100. Geburtstag feiern und deswegen die nächsten Tage der Eintritt in den Yellowstonepark umsonst ist! Dementsprechend groß ist der Andrang. Gut, dass wir so besorgt waren Labour Day zu vermeiden. Die Rangerin am Parkeingang wunderte sich wohl ein bisschen, dass wir auf ihre Ankündigung, dass wir nichts zahlen müssten so sauer reagieren.

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Natürlich war der Verkehr irrwitzig und spottet jeder sprachlichen Beschreibung und Nationalpark müsste passender in Carpark umgetauft werden; natürlich ist die Ausschließlichkeit in der sich die Menschen nur in ihren Autos, Wohnmobilen, Quats, SUVs durch den Park bewegen eine Karikatur des Naturerlebnisses, mit dem der Park wirbt. Aber schließlich fahren alle recht langsam, weil sie ja von der Straße aus die Natur erleben wollen und so konnten wir im Verkehrsfluss fast mitschwimmen. Auf der Strecke muss unweigerlich der eigentliche Zweck des Geburtstagskinds bleiben, denn statt die Natur zu bewahren erleidet sie auch hier, weit weg von den Metropolen den Verkehrskollaps und den konsumzivilisatorischen Burnout.

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DSC01535Und dieser Burnout kündigte sich uns ganz wörtlich schon seit einigen Tagen an: Wir sahen die Rauchsäulen am Himmel stehen und wir rochen den Park schon Tage bevor wir ihn erreichten. Im Zuge der Klimaveränderung sind Trockenheit und die daraus entstehenden Waldbrände ein zunehmendes Problem nicht nur im gesamten Westen der USA, sondern auch im Yellowstone Park. Rund ein Dutzend größere Brände wüteten schon als wir ankamen. Die Meldung, dass uns der Südausgang des Parks vor der Nase zugeschlagen wurde, weil die Brände genau diese Straße schlossen, die wir in zwei Tagen zu befahren planten, traf uns dann doch unvorbereitet. Wir schauten auf unsere Karten: Der Umweg zurück über den Westausgang würde uns über einige der höchsten Pässe Idahos führen, der Umweg über den Ostausgang würde uns fast 500 km zusätzliche Strecke kosten. DSC01386

DSC01527Wir waren im Park gefangen. Die Ranger speisten uns einheitlich mit der offiziellen Stellungnahme ab, die Feuer seien nicht unter Kontrolle, man wisse nicht, wie sich der Wind entwickle und man könne keine Aussage über die Zukunft treffen. Vielleicht bleibe die Straße den ganzen September gesperrt, denn nach dem Brand müssten die Feuerwehrleute und Holzfäller erst sicherstellen, dass die verkohlten Stämme nicht umstürzten und einen Unfall verursachen. Wir unsererseits entwickelten auch eine große Routine zu versichern, dass für uns langsam und mühsam reisende Radfahrer es besonders wichtig sei eine Vorhersage zu erhalten, denn anders als ein Auto könnten wir den Umweg nicht mal kurz in einem halben Tag bewältigen. Aber das half alles nichts. Die Auskunft blieb offiziell unbestimmt. Es war eigentlich das Gesprächsthema des ganzen Nationalparks, niemand bekam eine zuverlässige Information, aber auf den Parkplätzen, in den Visitorcentern und den Campingplätzen mutmaßte jeder über die Sperrung, immerhin gibt es für den gigantischen Verkehrsfluss nur vier Zugangsstraßen, je eine pro Himmelsrichtung und zwischenzeitlich drohte sogar die Westroute, über die wir gekommen waren, auch noch geschlossen zu werden. Wir merkten schnell, dass wir auf offiziellem Weg keine brauchbaren Informationen erhalten würden. Also änderten wir unsere Strategie. Im Park waren die Firefighter, die amerikanischen Helden schlechthin, immer hinter gelben Absperrbändern stationiert, meist in gesperrten Parkbuchten oder Rastplätzen, unzugänglich für die schaulustigen Autofahrer.

DSC01610Wir hingegen konnten uns an den Absperrungen ganz ungeniert vorbeiquetschen, schließlich brauchten wir nach dem einen oder anderen Hügelchen ja eine Verschnaufpause, das wussten auch die Polizisten, die die Feuerwehrleute vor den Touristen schützten. So standen wir mit unseren Rädern zwischen dem Gewimmel rußgeschwärzter Helden ebenfalls behelmt nur eben ohne Atemschutz. So kam, was kommen musste: Es vergingen nur wenige Minuten bis der erste Feuerwehrmann uns ansprach, „Hey, where do you come from? Where did you start cycling? Where are you going to…” Wir rechneten schon damit. Es entspann sich ein Gespräch, die Frage, wann wohl ernsthaft mit der Öffnung der Südroute zu rechnen sei ergab sich fast selbstverständlich eingeflochten in große Bewunderung für die tapfere Arbeit die hier von den Firefightern erledigt wird. Eine kurze Funkunterhaltung mit der Leitung der Südzentrale mit viel Rauschen, RogerOverandOut und wir bekamen die Information: Wird heute Nachmittag entschieden. Etwas enttäuscht, weil wir so nah dran waren die entscheidende exklusive Information auf so unkonventionellem Weg zu erhalten, fuhren wir in das Abendlicht, das allerdings spätes Vormittagslicht war, so viel Rauch lag über der Landschaft. Aber glaubt es oder lasst es bleiben: Als wir abends unser Zelt aufbauten fuhr ein furchteinflößender Feuerwehrwagen über den sehr kleinen Campingplatz im Norden des Parks und hielt genau – na, wo wohl? – vor unserem mickrigen Zweimannzelt. Ausgestiegen ist niemand, dafür sind sie halt zu cool die Firefighter. Und die Sonnenbrillen haben sie auch aufbehalten obwohl schon Dämmerlicht war. Aber aus dem Fenster heraus riefen sie zu uns herunter: „Der Südausgang wird Dienstag um 12 Uhr mittags geöffnet.“ Der ganze Campingplatz hielt wohl in diesem Augenblick den Atem an. Aus Spaß fragten wir weiterhin jeden Ranger den wir am folgenden Tag trafen, wann wohl der Südausgang geöffnet würde. Erst am darauffolgenden Tag hieß es dann auch offiziell: „Am Dienstag um 12 Uhr mittags.“

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Wenn wir mal gerade nicht radfahren

Im letzten Bericht haben wir ja schon versucht, Euch ein wenig mit in unseren Alltag zu nehmen. Nach einem Monat unterwegs sind wir unterdessen in eine Art Routine des Draußenseins gekommen. Damit Ihr Euch das vorstellen könnt: Wir packen morgens recht zeitig unsere Siebensachen zusammen und frühstücken, um Kraft für die Pedale zu haben. In der Regel heißt das, dass Ralph mir auch auf dem Kocher einen Kaffee kocht, denn den brauche ich für das Kommende. Dann sind unsere Tagesetappen meist bestimmt durch die Distanzen zum nächsten Wasser oder dem nächsten oder übernächsten Campingplatz. Was man sich unter „Campingplatz“ dann vorzustellen hat ist ein sogenannter Public Campground, der hier immer in Kombination mit einen Statepark auftritt. Das sind dann in der Regel 12 oder 16 oder 20 primitivste Plätzchen von ein paar Quadratmetern, mit einem Wasserhahn für den ganzen Platz (natürlich kaltes Wasser – aber immerhin meist trinkbares) und einem Plumpsklo für den ganzen Platz. Wenn wir ankommen, haben wir irgendwo zur Mittagszeit eine kurze Pause gemacht (meist am Straßenrand im Schatten, wenn es welchen gibt), um mit Keksen oder anderen kohlenhydrathaltigen Nahrungsmitteln – ich will es nicht „Brot“ nennen –  die Energie für die zweite Hälfte des Tages zu bekommen.

Dann, wenn wir den Nachtplatz erreicht haben, beginnen die Tagesroutinen des Zeltaufbauens, Kochens, Essens, der Körperhygiene. Letztere besteht meist im Waschen unter extremen Bedingungen, denn Seife ist auch eine Lockquelle für Bären. Also muss man sich im Fluss waschen, wo alles wegfließt, oder weit in den Wald wandern, was manchmal auch recht aufwändig ist, da man einen Platz braucht, an dem man den Wassersack in passender Höhe in den Baum hängen kann um zu „duschen“. Ist das alles getan, stehen die kleinen Aufräumarbeiten an mit ihren speziellen Tücken – Essen und alles Geruchsintensive bärensicher verstauen (auf den Baum weit weg) und spülen, so dass keine Geruchsspuren blieben. Da ist sehr viel Erfindungsreichtum angesagt. Ich schreibe dann noch etwas Tagebuch. Meist sind wir dann so müde, dass für das Texteschreiben, Bildersichern, Homepagepflegen keine Zeit oder Energie mehr bleibt. Oft sitzen wir einfach da, staunen über die Bergketten am Horizont, auf die das letzte Sonnenlicht fällt, blicken über die sich kilometerweit erstreckenden Salbeibüsche und erzählen uns, was wir den Tag über so gedacht haben. Manchmal schaffen wir es wach zu bleiben, bis sich der Sternenhimmel mit Milchstraße über uns wölbt. Meist kriechen wir aber kurz nach dem Dunkelwerden zwischen 9 und 10 Uhr in den Schlafsack und lauschen den Geräuschen des Waldes oder der Stille der Prärie nach, über die der Wind fegt. Dankbar, dass wir diese vielen Facetten der Erde erleben dürfen.

In den folgenden Videos nehmen wir Euch mit auf unsere abendlichen Zeltplätze: