Breakdown

Bryce Canyon
Bryce Canyon

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Breakdown

Wir geben uns ja große Mühe Euch nicht mit Wiederholungen zu langweilen. Dabei ist es wirklich nicht ganz einfach für unsere Berichte immer wieder etwas Neues auszugraben, wussten doch schon die alten Griechen, dass bestenfalls nicht viel Neues sich unter der Sonne ereigne. Die Welt, lasst es mich an dieser Stelle beklagen, ist halt doch oft recht einfallslos und monoton, dümmlich einfältig und beleidigend vorhersehbar. Ich kann Euch nicht länger schonen und muss die Nachricht Euch unbeschönt und direktheraus überbringen: Unsere zweite Laufradnabe hat unserer Härte nicht standgehalten. Sie ist kaputt, futsch, hin. Totalverlust. Nein, Ihr habt Euch nicht im Bericht vertan, Hinterradnabe war vor knapp drei Wochen, jetzt ist Vorderradnabe.

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Ok, unsere Finger sind rissig von der Kälte und der Trockenheit. Manch anderes Körperteil tut am Ende des Tages auch ganz schön weh. Die Nasen sind wund, weil sie den halben Tag tropfen. Haare werden grauer von der Sonne, Augen gerötet vom Salz und vom Wind. Der Magen kann keine weitere Scheibe Toastbrot oder Cheddarkäse mehr ertragen. Geben wir auf? Treten wir kürzer? Machen wir einen Bohei daraus? Die Temperaturen  springen in den Extremen hin und her. Die Meilenangaben auf Karten und Schildern stimmen fast nie. Der Asphalt hat keine Rollqualität und der Wind ist gegen uns. Nehmen wir uns einen Mietwagen oder legen wir uns an den Pool? Wir wurschteln uns abends in zwei Schlafsäcke. Wir stehen morgens im zähen eiskalten roten Schlamm und kochen einen Kaffee, der noch im Becher kalt wird bevor man ihn an den Mund führen kann. Wir wuchten unsere 50 Kilo-Räder täglich über Höhenmeter, die einem ausgewachsenen Alpenpass gut stünden. Klopfen uns die Widrigkeiten weich? Nein, nein, nein. Was also erwarte ich von meinem Material? Lasst es mich mal so ausdrücken – und wenn es nicht schon eine Rubrik „Wahrheiten im Sattel“ gäbe, so müsste ich sie an dieser Stelle einführen. Wahrheiten im Sattel die zweite: Sollte ich jemals in einer Art Reinhold-Messner-Manier ein Interview geben, so würde ich gerne mal ins Mikrofon tirolern:

„Ich erwarte von meinem Material nicht mehr als von mir selbst: Das Maximale!“

Sollte ich, wenn ich schon in Fahrt bin, hier erwähnen, dass dies das einzige Bauteil ist, bei dem wir uns blind auf die Empfehlung unseres Radausrüsters verlassen haben. Alle anderen Teile haben wir selbst ausgesucht. Ja, es muss einfach raus, ich kann es nicht zurückhalten. Ebenso musste ausgesprochen werden, was diesmal zum Glück niemand am Straßenrand als Video festgehalten hat, denn es wäre nicht jugendfreie Sprache gewesen. Es war zum Glück zu spät, um in Deutschland anzurufen und zu fragen: „ Was für einen **** habt ihr mir denn da eingebaut?“ Besonders als ich dann zwei Stunden später die drei nächsterreichbaren, mindestens drei Autostunden entfernten Fahrradläden abtelefoniert hatte und mir auch zum vierten Mal nach Vernal bestätigt wurde, dass nach deren Meinung eine Shimano XT-Nabe es niemals um die Welt schaffen würde.

Da saßen wir nun, auf der stateparküblichen Picknickbank neben unserem Zelt in der Kälte bei schlechtem Wetter und durchlebten die unterschiedlichen Stadien der emotionalen Bewältigung: Warum jetzt, wo es regnet, wir so hoch festsitzen wie noch nie und es deswegen so kalt ist wie noch nie? Warum haben wir das nicht überprüft mit dieser XT-Nabe? Hätten wir das verhindern können? Im Moment geht schon recht viel von unserem Material den Bach runter: Mit unserer amerikanischen Simkarte können wir nur noch drei Nummern anrufen, unser Zeltboden ist beim kleinsten Regen undicht, unser Rückflug von San Francisco nach Marrakesh wurde ersatzlos gestrichen. Und als wir gestern Abend in der Dämmerung unser Abendessen kochen wollten, nach einem harten Tag und vor einer kalten Nacht, hat das schlechte amerikanische Benzin auch noch die Düse unseres Kochers verstopft. Bei Dunkelheit war das nicht mehr zu reparieren und wir durften die Nudeln zur Abwechslung mal al dente essen. Da saßen wir nun in der dunklen Kälte und waren schweigsam, denn wenn am Ende des Radtages ohnehin nicht mehr viel Kraft übrigbleibt, merkt man erst, dass es eine enorme Anstrengung erfordert, immer motiviert und optimistisch gestimmt zu bleiben.

Nach einigen stillen Minuten über kalten Nudeln siegt die Kraft des mentalen Neuorganisierens, schließlich haben wir schon öfter gemeinsam ungemütliche Situationen umgewendet. Bei allem Ärger über das unkooperative Material setzt schon bald der „Es könnte noch schlimmer sein-Habitus“ ein: Immerhin sind wir gesund und haben Dollares in der Tasche. Dann das Planen der nächsten Schritte: Wie kriegen wir das möglichst schnell repariert? Was lassen wir uns in Biberach einbauen, damit das länger als zwei Monate hält? Erstmal ein Bier trinken?

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Aber dann auch wieder: Das ist halt auch Teil des Abenteuers… Und im Übergang dieser Phasen immer wieder der unbändige Drang laut herauszubrüllen: So eine *****! Schließlich die Einsicht, die immer auch schon da war: Solange wir gesund sind, kann kaputt gehen was will, es sind halt doch nur Dinge. Wir haben ja auch deswegen so wenige davon dabei, damit wir nicht von den Dingen besessen werden, sondern damit sie uns dienen, nicht wir ihnen.

Das ist nicht leicht dahin gesagt, wenn das Reparieren bedeutet, dass wir mit dem Auto, das wir nicht haben, dreieinhalb Stunden nach St. George zum nächsten Fahrradladen fahren und dann wieder dreieinhalb Stunden zurück. Schon am nächsten Tag hatten wir allerdings eine sehr freundliche Mitfahrgelegenheit durch Rangerin Octavia. Die freut sich, dass sie mal wieder in die Stadt kommt, denn in ihrem halbjährigen Dienst in der Isolation von Bryce Canyon hat sie schon längst den Hüttenkoller. Wir sind gerne ihre Ausrede dafür, dass sie ihren kranken Mann im RV sitzen lässt und in die Stadt ausbricht. Am allerliebsten wäre Octavia allerdings mit uns gleich bis nach Las Vegas gefahren und schlägt uns schon am Vorabend drei Radläden aus der Casinostadt vor, die sie selbst recherchiert hat. Wir merken allerdings schnell, dass schon die Strecke nach St. George mit dem Auto keine Kleinigkeit ist. Gut, dass Octavia darauf drängt, früh loszufahren – insgeheim hofft sie immer noch auf Las Vegas. Um 8:30 Uhr sitzen wir in ihrem kleinen Wagen, in dem ihre Lieblingsmusik läuft. Allerdings hören wir davon kaum etwas, denn Octavia hat viel zu erzählen. Sie war in ihrem bewegten Leben auch schon mal Reiseleiterin in Las Vegas und das merkt man. Imke findet auf dem Rücksitz zwei Drumsticks und beginnt den Takt auf Ralphs Beifahrerkopfstütze mitzutrommeln. Währenddessen telefonieren wir mit Velotraum in Weil der Stadt und hören die Lebensgeschichte von Octavia, die auch lange Zeit Sängerin in einer Band war. Zu diesem besonderen Anlass hat sie ihre weiße Lieblingsjacke mit den großen schwarzen Noten angezogen. Unsere Nerven, dachten wir, hätten schon genug mit den Defekten zu tun. Bei dieser Autofahrt stellen wir fest, dass wir größeres mentalpsychisches Potential haben als bisher angenommen. Eine gute Voraussetzung für eine Fahrradweltreise.

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Zwölf Stunden später sind wir wieder zu Hause vor unserem Zelt, das unterdessen eine kleine Schneeschicht hat. Es ist kalt und nass hier in der Höhe. Und wir sind erschöpft, denn für eine so gute Lösung muss man halt auch kämpfen. Ja „kämpfen“ ist öfter dran, denn neben den vielen guten Erlebnissen will der Alltag on the road auch den Widrigkeiten abgerungen werden. Und jetzt sind wir recht müde, müde aber sehr guter Laune, denn unsere Lösung ist hervorragend. Das Laufrad wird repariert, während wir mit einem billigen Ersatzlaufrad in den nächsten Tagen unsere Route durch Zion National Park fortsetzten. Von dort ist es nur ein kleiner Umweg von 140 km nach Red Rock Cycles in St. George, Utah. Wie immer, wenn ein Rad krank ist, haben wir gut darauf geachtet, dass die Fahrraddoktoren vertrauensvoll sind. Zuerst waren wir bei einem anderen Radladen, aber da hat mir der erste Blick auf die „Ordnung“ in der Werkstatt sofort ein schlechtes Gefühl gegeben. Und das ist klar, ich lass mein Fahrrad nicht allein bei einem schlechten Doktor, und sei es nur das Vorderrad. Denn wie die ersten Siedler des Westens vor 150 Jahren sich auf ihre Reittiere verlassen mussten, so geht es uns mit unseren Rädern. Erst kommen die Pferde, dann alles andere. Sollte ich es schon mal erwähnt haben?

Am Ende des nervenaufreibenden Reparaturausflugstages wollte ich mich nicht mehr mit dem Umliegenden beschäftigen, und als wir in der Dunkelheit im Zelt lagen und ausnahmsweise mal Netz hatten, habe ich das Transkript der ersten Presidential Debate gelesen zwischen Trumpeltier Donald und Hillary Clinton. Genau darauf wollte ich diesmal Eure Aufmerksamkeit lenken, bevor uns die zweite Nabe dazwischen kam. Neben den immer beeindruckender werdenden Landschaften begleitet uns immer lauter und aufdringlicher und befremdlicher das politische Geschehen hier im Land. Anfang November ist Präsidentschaftswahl und das Thema begegnet uns auch auf der Straße. Immer wieder sprechen uns Menschen ungefragt darauf an und fragen, „Was denken die Menschen bei Euch über Donald Trump?“. Manche, nicht wenige, sind noch direkter und drängen uns ihre Botschaft auf: „Bitte sagt bei Euch zu Hause, dass nicht alle Amerikaner wie Donald Trump denken und reden!“. Andere, besonders in den ländlichen, dünn besiedelten Staaten, durch die wir bisher kamen, unterstützen Trump und sind durch seine undiplomatischen Ausfälle eher ermutigt, sowohl in ihrem allgemeinen Ärger gegenüber dem Establishment als auch in ihrer Angst.

Vielleicht fragt auch Ihr Euch, wie ticken, was denken die Amerikaner. Wir haben uns daher entschlossen, Euch ein Interview zuzumuten, das wir mit Theresa geführt haben. Warum Theresa? Naja, als ich, mit meinen schwarzen staubigen Hosen, der schwarzen Jacke und der dunklen Sonnenbrille aus der Campingplatztoilette kam, da sagte Theresa ganz unscheu: „Here comes Mysteryman!“ Worauf ich dachte, die erzählt uns sicher etwas unverblümter in die Kamera, was sie politisch so denkt. Das tat sie dann auch eine dreiviertel Stunde lang. Hier die ungekürzten Videos, ihr könnt ja vorspulen, wenn es Euch zu lang wird:

 

Mit einem Ersatzvorderrad erreichen wir bei strahlendem Sonnenschein den uns von vielen Amerikanern angekündigten „beeindruckensten und schönsten“ Zion National Park. Riesige rote kompakte Felswände, tiefe dunkle Schluchten. Vielleicht waren es die vielen Ankündigungen, die unsere Erwartungen ins Maßlose gesteigert hatten, vielleicht ist es aber auch die Einsicht, dass ein idyllischer, einsamer Wildcampingplatz in dieser ohnehin beeindruckenden Landschaft immer mehr Erlebnistiefe bietet, als jeder noch so pittoreske aber überlaufene und laute Nationalpark. Aber, jetzt wo wir schon mal hier sind, werden wir uns die Gegend natürlich genauer anschauen, inklusive gratis Schuttelbusfahrt.

Shuttlebusfahrt in der grauen Touristenmasse
Shuttlebusfahrt in der grauen Touristenmasse

Zuerst aber stellen sich uns zwei große Hürden in den Weg, denn die Campingplätze im Nationalpark sind auf Monate ausgebucht und eine Reservierung, so ein depperter deutscher Mietwohnmobilist „des könnt ihr vergessen, wir jedenfalls ham zum Glück schon im Mai gebucht. Habt ihr euch nicht informiert?“ Natürlich haben wir das, aber wir wussten ja am Sonntag noch nicht, dass wir am Montag weiterfahren können, wie also sollen wir auf den Tag genau 4 Monate im Voraus reservieren? Radfahrer sind im System halt nicht vorgesehen. Außerdem führt die einzige Straße des Nationalparks durch einen langen unbeleuchteten Tunnel. Vor Jahren haben noch die Ranger für die wenigen Radfahrer gesorgt, so dass man auf ihren Pickups durch den Tunnel gefahren wird. Unterdessen heißt es lapidar beim Eintritt in den Park: „Ranger dürfen Euch nicht assistieren, die Tunnel sind für Fahrräder gesperrt.“ In vielen Staaten im Westen der USA ist das Fahrrad noch nicht einmal ein legales straßentaugliches Fortbewegungsmittel. In Wyoming haben uns immer wieder Autofahrer stolz darauf hingewiesen, dass das Fahrrad in ihrem Staat gleichberechtigt ist. Sie hatten recht, irrten aber trotzdem.

Mit zunehmender Zeit unterwegs können uns solche Ungewissheiten aber kaum noch ablenken. Wir fahren genussvoll die schöne Straße durch den Nationalpark hinab in immer wärmer werdende Luftschichten und stehen plötzlich in der Schlange vor dem Tunnel, der auch von Autos abwechselnd nur in jeweils einer Richtung befahren werden darf. Wir fahren an der Schlange vorbei nach vorne und halten nach Pickups Ausschau. Da fällt mir die kleine italienische Flagge im Rückfenster eines weißen Pickups auf. Ohne groß nachzudenken fange ich an auf Italienisch durch das offene Seitenfenster auf die Insassen einzureden. Die Reaktion ist anders als ich erwartet hatte verblüfftes Schweigen. Christine und Lou sind nicht dieser Sprache mächtig, aber der Großvater von Lou ist ein echter Italiener gewesen. Imke wirft in die sich entspinnende Unterhaltung ein, dass wir auch noch durch den Tunnel müssten und wie schön, dass auf der Ladefläche viel Platz ist für zwei Räder und zehn Packtaschen. Nur die Rücksitze sind schon beansprucht durch die zwei großen Dobermänner. Also setzen auch wir uns auf die Ladefläche und zum Abschied am Ende des Tunnels werden Selfies gemacht und Dankeskarten ausgetauscht.

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Auch der Campingplatz hält mit seinen strengen radfahrerfeindlichen Statuten Imkes Charme nicht stand und neben einem Plätzchen für unser Zelt bekommt Imke auch dicke Umarmungen von der anfänglich recht spröden Campingplatzchefin.

Wettkochen mit Etienne und Sabine, den französischen Weltradlern
Wettkochen mit Etienne und Sabine, den französischen Weltradlern

Um die Schönheit der Landschaft abseits der Straße doch noch zu entdecken, planen wir zwei Wanderungen, von denen wir denken, dass wir dort sehr einsam sein werden: Jeweils offiziell als „sehr anstrengend“ qualifiziert. Wir ziehen unsere Sandalen an und laufen trotz kühler Morgentemperaturen in kurzen Hosen los, denn heute geht es über zwei Stunden durch den kalten Gebirgsbach, der bis Hüfthöhe den tiefen schattigen Canyon „The Narrows“ ausfüllt. Ja, das Wasser ist recht kühl, aber nach der ersten halben Stunde sind die Füße gefühllos und man wandert und stolpert in der braunen Brühe fast schmerzlos.

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Allerdings wundern wir uns, nein eher noch sind wir geschockt über die Massen, die mit uns laufen. Es sind nicht die offensichtlich Harten, die da mit uns durchs kalte Wasser waten, es sind, ihr wisst, dass ich nur wenige Vorurteile in mir trage, es sind: Die Chinesen! Ausgerechnet die Chinesen, die sich sonst nur bis zum Geländer des Photopoints bewegen und auf diesen 12 Metern vom Bus mehrfach über ihre Selfisticks stolpern. Wir sind niedergeschmettert. Dabei ist das Wasser wirklich kalt. Wir nehmen es mit Humor und lassen unser Selbstbild hinterfragen. Ein wenig beleidigt sind wir schon, dass wir weniger exklusiv abgehärtet sind als wir bisher dachten. Zwei Stunden Zeit haben wir uns mit dieser etwas enttäuschenden Einsicht anzufreunden, bis das Ende der Wanderung uns alle ans sandige Ufer zurückführt und alle, alle in gemieteten blaugelben Thermowasserschuhen mit Neopreneinsatz dastehen. Alle bis auf uns. Wir stehen mit blauen Füßen in Sandalen da, eiskalt, zitternd, mit langsam zurückkehrendem Gefühl und zunehmendem Schmerz in den Füßen. Aber was ist schon der Schmerz in den Beinen gegen die Befriedigung in der Seele doch die Härtesten zu sein.

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