Big Sky Montana

Big Sky Montana

Während des 2. Weltkriegs produzierten die USA im Mittleren Westen Kampfflugzeuge, die für den Krieg gegen Japan über die Rocky Mountains geflogen werden mussten, um sie dann in den Pazifikhäfen zu verschiffen. Die Aufgabe war bei den Air Force Piloten beliebt, da sie einem gefahrlosen Linienflug gleichkam. Bei einem dieser Flüge erhielt ein junger Pilot die Erlaubnis aus der Formation auszuscheren und eine Runde über sein Heimatdorf bei Missoula im Bundesstaat Montana zu drehen. Dort auf dem Hochplateau der Rocky Mountains, im Bitterroute Valley, ist die Landschaft geprägt durch weite, unberührte Waldflächen an den bergigen Hängen und durch steppenartige Großtäler, die so breit sind, dass sie Bassins genannt werden. Der Himmel dominiert die karge Landschaft auf eine so beeindruckende Weise, dass der Bundesstaat Montana den Beinamen „Big Sky Country“ erhielt. Der überwiegende Teil des Staates liegt über 1500 Meter hoch und ist so dünn besiedelt, dass… Ja, welcher Vergleich wäre hier passend, um deutlich zu machen, wie wenig erschlossen und besiedelt viele Bereiche Montanas immer noch sind? Das traurige Ende der Geschichte des jungen Piloten verdeutlicht die Verlassenheit Montanas auf beeindruckende Weise: Nachdem er eine Runde über sein Dorf gedreht hatte, kehrte er nicht mehr in seine Formation zurück und war seither vermisst. Erst als 1957, rund 15 Jahre später, die Lolo Passstraße, die Idaho mit Montana verbindet, endlich verbessert und schließlich sogar geteert wurde, fanden die Straßenarbeiter das Wrack der Maschine.

Unterdessen haben wir den Bereich der großen Wälder verlassen und reiten Stunde um Stunde durch die Steppenlandschaft, die sich nur durch die Bergketten am Horizont kurz wölbt, bevor sie in einen weiten Himmel übergeht. Die Straße erstreckt sich vor uns als flimmerndes Band und wird von unseren rollenden Reifen gefressen nur um vom Horizont vor uns wieder ausgespuckt zu werden.

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Gelegentlich zweigt ein Schotterweg ab mit einem im Wind knarzenden Hinweisschild auf diese oder jene Ranch, die nur mit zusammengekniffenen Augen als kleiner Punkt vor den Bergen zu erkennen ist. In dieser Landschaft fänden wir leicht einen Platz, um für die Nacht ungestört unser Zelt aufzuschlagen, dachten wir. Aber all diese Meilen der Steppenweite sind eingezäunt, ständig begleitet uns einmal ein historisch rustikaler Holzzaun aus den Zeiten der Erschließung des Westens, dann wieder moderner Stacheldraht. Viele Westernfilme behandeln den Konflikt um das Einzäunen des Landes, den Kampf der reichen Grundbesitzer gegen die freischaffenden, harten Cowboys, die ihre Herden über das unbegrenzte Land begleiten. Ein Konflikt zwischen dem Establishment und dem ungezähmten Geist des Wilden Westens. Wir verkörpern natürlich den Geist des im Sattel sitzenden Wilden Westens, denn die Zäune hindern uns nicht nur daran tagsüber an die wenigen Bäche zu gelangen, um Wasser aufzufüllen, sondern auch abends einen Schlafplatz zu finden. Beide Notwendigkeiten prägen unseren Tagesablauf in entscheidender Weise. So müssen wir die Etappen genau planen und können nicht „mal schauen, wie weit wir heute kommen“.

Alltag im Sattel

Ich schlage die Augen auf. Noch schlaftrunken frage ich mich: Wo bin ich? Ach ja, in der weiten Prärie von Montana. Auf der ersten Etappe unserer Weltumrundung mit dem Fahrrad! Das klingt nicht nur immer noch unfassbar, sondern fühlt sich auch immer noch sehr unwirklich an. Also packe ich erst einmal das Naheliegende an: Mich aus dem Schlafsack zu schälen und mich wieder in die dicken Klamotten von gestern Abend zu werfen, die wir nach Sonnenuntergang gegen die verschwitzten kurzen Radkleider getauscht haben. Nachts war es unter null Grad, und auch jetzt zeigt unser Thermometer erst 1 Grad an. Die Sonne ist noch nicht über die Bergrücken gestiegen. Ralph verschwindet im Wald und holt unseren Packsack mit Essen aus dem Metallschrank, in dem man auf diesem kleinen Campground seine Vorräte bärensicher verstauen kann.

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Bärensicherer Vorratsschrank für alles was Bären attraktiv finden

Der frisch gekochte Kaffee wärmt kurze Zeit wunderbar die Hände, wird leider beim kalten Wind, der heute über die Steppe pfeift, auch schnell wieder kalt. Eine Rehfamilie kommt an unserem Frühstückstisch vorbei. Ein Squirrel schimpft unablässig vom Baum über uns auf uns herab. Anscheinend stören wir es in seinem Revier.

Knappe zwei Stunden, nachdem wir aufgestanden sind, sitzen wir wieder auf unseren vollgepackten Rädern. Ein Blick zurück – nichts auf dem leeren Platz im Wald erinnert mehr daran, dass hier für kurze Zeit unser Zuhause war.

Zurück auf der Straße. Das Asphaltband zieht sich bis zum Horizont, mitten hinein in den blauen Himmel. Längst ist es wieder heiß geworden. Kurzer Halt am Straßenrand und sich über die erste Salzschicht des Tages die erste Lage Sonnencreme schmieren.

Die Weite der Landschaft und die große Leere sind gleichzeitig beeindruckend und sehr, sehr langweilig. Um mich von der Tatsache abzulenken, dass sich vor mir wieder ein Pass erhebt, dessen Verlauf ich noch nicht einsehen kann, versuche ich, mich mit Geschichten abzulenken. Wir befinden uns im Gebiet der Schoschonen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Goldgräberstädte errichtet, die den von weit her kommenden Einwohnern kurz das Glück verhießen und dann schnell wieder verlassen wurden. Heute kann man diese Geisterstädte besuchen und durch die Wohnhäuser, den Saloon und den Kramladen gehen. Alles sieht aus, als sei es eben erst verlassen worden.

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Da fällt es nicht schwer, sich mit einem kleinen Wildwest-Kopfkino zu unterhalten. In dieser Gegend trieb nämlich Henry Plummer sein Unwesen, ein Mann, von dem sich die Einwohner von Twin Bridges in der heruntergekommenen Bar „The Blue Anker“ noch heute erzählen. Henry Plummer führte ein gefährliches Doppelleben. Tags war er Sheriff, und nachts lauerte er mit seinen Gefolgsmännern den Goldgräbern auf und überfiel Banken und Städte. Die Einwohner von Bannack und Virginia City lebten in Angst und Schrecken, so lange, bis er und seine Kumpanen gefasst und alle miteinander entlang der Main Street an den Telegraphenmasten aufgeknüpft wurden…

„Halt mal an!“ Ralphs Rufen reißt mich aus meinem Wildwesttraum. „Bleib stehen! Guck mal! Ein Socken! Da im Straßengraben!“ Der kommt uns wie gerufen. Was wir mit einem Socken wollen? Ja, wir leben mittlerweile nicht nur auf, sondern auch von der Straße. Gerne verwenden wir Zwiebeln, die die Trucks von der Ladefläche verlieren, um unser Abendessen aufzupeppen. Heute müssen wir mal wieder die Ketten abziehen und neu ölen, damit sie die 2000 km halten, bis wir neue aufziehen. Dazu braucht man aber einen Lappen, den wir natürlich nicht über alle Pässe tragen. Doch am Straßenrand findet sich meistens in genau dem Moment, in dem wir sagen „Wir sollten mal wieder Ketten abziehen!“ etwas, das man dafür verwenden kann. Heute ist es ein frisch gewaschener weißer Socken. Fast zu schade dafür, aber nun kommt dieser Socken zu seiner letzten Bestimmung. Kurzer Halt am Straßenrand, die Ketten neu ölen, Wasserflaschen auffüllen.

Ein Schattenplatz für die Mittagspause wäre schön, aber dieser Wunsch geht leider nicht in Erfüllung. Also sitzen wir mit Blick auf Hunderte von Heuballen da, die sich bis zum Horizont erstrecken, und essen in der Sonne Bagels mit Relish – unserer Neuentdeckung, einer Art Gurkenkompott. Schmeckt viel besser als in der Hitze verlaufener Käse. In dieser trockenen Landschaft hat man Heißhunger auf Würziges, Nasses, Salziges.

Im zweiten Teil des Tages sind dann nicht nur meine Beine, sondern auch mein Hirn langsam leer gefahren. Da geht obenrum dann nicht mehr viel mehr als Gedanken wie diese: Es sind noch soundso viel Meilen bis zum Campground… das sind soundso viel Kilometer… wenn ich so schnell weiterfahre wie jetzt dauert das noch soundso lange… Was ich auf jeden Fall schon gelernt habe: es ist immer noch weiter, als man denkt.

Wie schön ist es dann, wenn das Schild „Campground“ vor dir auftaucht! Müde rollen wir ein und finden einen schönen Platz mitten im Wald. Duschen gibt es zwar keine, aber wir haben unsere Dusche immer mit dabei: wir hängen unseren Wassersack in den Baum. Leider ist die Sonne schon untergegangen, und es ist nur noch 10 Grad warm Wenn man sich da mit 5 Grad kaltem Wasser abduscht, fühlt man sich zwar kurz schlechter, aber danach viel besser als vorher!

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Jetzt folgt einer der Höhepunkt in der Alltagsroutine des Unterwegsseins:  das Abendessen! Zum Einschlafen hören wir denselben Soundtrack, den wohl  auch die Gründer der Goldgräberstadt Bannack vor 150 Jahren hörten- das Heulen der Kojoten in der Prärie.

Nachts heulen die Kojoten
nachts heulen die Kojoten