von hier nach da – Himalaya

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Von Golmud nach Yushu: über das tibetische Hochplateau

Von Golmud  fuhren wir los auf der G 109, der Straße, die nach Lhasa führt. Diese Straße müssen wir uns leider mit vielen LKWs teilen, die ebenfalls unterwegs waren nach Tibet. Das machte das Radfahren zwar ein bisschen weniger entspannt, weil wir öfter in den Straßengraben ausweichen mussten, aber in der Regel hielten alle LKWfahrer genügend Abstand. Was uns viel mehr aus der Fassung brachte, waren die endlosen Militärkolonnen, die uns auf ihrem Weg in die Autonome Region Tibet mehrfach täglich passierten. Sie waren so lang, dass wir aus Sicherheitsgründen regelmäßig von der Straße fuhren und warteten, bis sie vorbei waren – oft eine Viertelstunde lang. Militärlaster um Militärlaster donnerte an uns vorbei, Mercedes Benz an Mercedes Benz – Made in Germany für die Unterdrückung der Tibeter. Auch nachts hörten wir im Zelt abseits der Straße stundenlang das tiefe, beunruhigende Grollen der Militärkonvois nach Lhasa. „Was machen diese Unmengen von Soldaten da nur alle?“ fragte ich irgendwann fassungslos. „Tibet belagern“, war Ralphs schlichte Antwort.

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Wir waren nervös. Nicht nur wegen des vielen Militärs – hatten wir doch schon genügend Begegnungen mit der chinesischen Ordnungsmacht in der Provinz Xinjiang gemacht. Wir waren nervös, denn wir wussten nicht, ob der Polizeicheckpoint 30 Kilometer außerhalb der Stadt Golmud uns passieren lassen würde. Denn Ausländern ist die Einreise in die Provinz Tibet nur mit Sondergenehmigungen erlaubt. Wir hörten von Radfahrern, denen eine Durchfahrt verweigert wurde, obwohl sie versicherten, nicht in die Provinz einzureisen, sondern vorher nach Osten abzubiegen und über das Hochplateau nach Yushu zu fahren. Auch wir hatten diesen Plan, nach dem Motto: „Wenn wir nicht in die Provinz Tibet einreisen dürfen, dann werden wir halt über das osttibetische Hochplateau durch das Siedlungsgebiet der Tibeter fahren.“ Dort ist auch Himalaya.

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Als wir schließlich den Checkpoint passieren durften, erschien uns das Zustandekommen der Entscheidung der drei noch fast jugendlichen Polizisten, alle in Splitterschutzwesten und schwerer Bewaffnung, ziemlich willkürlich. Wären wir nicht so gut vorbereitet gewesen und hätten nicht 500 Meter vor dem Checkpoint am Straßenrand auf unserer großen Chinalandkarte unsere Route mit Marker dick angestrichen, wäre das nicht unbedingt so gut für uns verlaufen. Auf Nachfrage konnten wir so am Checkpoint gleich unsere Karte zücken – und wir hatten den Eindruck, dass man die Leute vom Land (das waren oft die Polizisten, mit denen wir es zu tun hatten) mit einer Landkarte immer beeindrucken konnte. Noch Minuten vorher waren wir darauf vorbereitet wieder zurück nach Golmud fahren zu müssen und uns dort einen ganz neuen Plan aus den Fingern zu saugen. Eine andere Strecke durch China verbunden mit der Trauer nicht aufs Hochplateau des Himalaya fahren zu dürfen. Jetzt waren wir völlig fassungslos, dass unser so primitiver Landkartenplan ohne Abstriche aufgegangen war. Im Staub des Lastwagenparkplatzes außer Sicht der Polizisten tanzten wir vor Freude und der Tankwart wunderte sich.

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Allerdings wussten wir auch: Vor uns liegen Leiden. Wir achteten in den folgenden Tagen sehr sorgfältig darauf, pro Tag nicht mehr als 500 Höhenmeter aufzusteigen, denn das ist die Akklimatisierung, die notwendig ist, um nicht höhenkrank zu werden. Daher brauchten wir für die 160 Kilometer bis zum Kunlun-Pass auf 4800 Metern Höhe fast vier Tage. Dahinter würden wir für längere Zeit nicht mehr unter 4300 Metern Höhe absteigen können. Das bedeutet: Wir wären gefangen, wenn jetzt einer von uns höhenkrank werden würde.

30 Kilometer hinter dem Pass verließen wir die Straße nach Lhasa und bogen auf das tibetische Hochplateau Richtung Yushu ab. Wir fanden uns in einer ganz anderen Welt wieder. Es war fast gar kein Verkehr mehr. Plötzlich umschmeichelte  uns eine wunderbar klare Stille. Es war zwar sehr kalt, aber die Sonne schien besonders hell. Bis zum Horizont erstreckte sich die gelbe Grassteppen-Ebene, nur durchbrochen von kleinen Wasserflächen und roten Moosflechten. In die eine Richtung sahen wir die schneebedeckten Gipfel des Kunlun-Shan, in die andere nur blauen Himmel. In dieser Ebene ohne Ende befinden sich die Quellen des Jangtskiang und des Gelben Flusses, dem dritt- und viertgrößten Fluss der Erde, und des Mekong, dem wir in Südostasien noch lange folgen werden. Es war ein beeindruckendes Gefühl, dass diese Ströme unter unseren Füßen entspringen, sich sammeln und dann viele tausend Kilometer weit durch Asien fließen.

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Hier oben waren wir ganz allein. Nur sehr selten entdeckten wir als kleine weiße Punkte in der Weite das Zelt einer Nomadenfamilie. Was wir viel öfter sahen, waren die Wildtiere Tibets. Wir teilten uns nun den Lebensraum mit Yaks – an die haben wir mittlerweile schon so gewöhnt, dass ihr Grunzen und Schnaufen neben unserem Zelt so beruhigend einschläfernd klingt wie das Schnurren einer Katze – und mit selteneren Wildtieren: Wir beobachteten Herden von Kiangs, tibetischen Wildeseln, sahen Tibetgazellen-Familien an den Flüssen trinken und machten Wettrennen mit den Tschiru, der Tibet-Antilope mit ihren zwei beeindruckend langen schwarzen Hörnern. Eine Gruppe Geier zerfleischte ihre Beute in unmittelbarer Nähe der Straße. Die Stille, die Weite und die Klarheit erhoben unsere Seele über unseren nach Luft ringenden Körper und wir segelten mit den Adlern über unseren Köpfen hinein in das große Blau.

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Um unsere Stimmung nicht zu pathetisch werden zu lassen, rannten neben uns her immer kleine kuschelige Puschel auf winzigkleinen Beinchen und quietschten. Pfeifhasen heißen diese sehr niedlichen Tiere, die aber eher aussehen wie eine sehr flauschige Version von irre schnellen Hamstern. Ich fand es einen tröstenden Gedanken, wenn die Höhe mich zu sehr quälte beim Atmen, beim Treten und das Höhenkrankheitskopfweh immer wieder auftauchte: sich einfach an den Straßenrand legen und sich umgeben wissen von diesen Pfeifmeerschweinchen. Das wäre doch schön.

Bei aller Schönheit, es war kalt! Wir wählten den Oktober als Reisezeit für dieses extreme Gebiet. Dann regnet es statistisch viel weniger als im September. Wir litten, nicht nur an der Kälte, sondern leider auch an den ersten Symptomen der Höhenkrankheit – trotz vorbildlicher Akklimatisierung. Auch hatte Ralph eine heftige Erkältung, so dass er nachts kaum Luft bekam und die meisten Nächte wach lag und nach Atem rang. Zweimal flüchteten wir vor der Kälte aus dem heimatlichen Zelt in erbärmlich dreckige, laute und zugige tibetische Unterkünfte – eher Abstellkammern. Das brachte uns außer der Tatsache, dass wir das Zelt nicht aufbauen mussten, jedoch keinen Komfortgewinn, denn auch hier war Innentemperatur gleich Außentemperatur. Vielmehr stellte es uns vor ganz andere Probleme, z.B. die Frage des Toilettengangs. Es gibt in den tibetischen Häusern hier oben keine Toiletten, im ganzen Dorf nicht. Das heißt, man muss aus dem Dorf rauslaufen, um einen passenden Ort zu finden. Nachts auf diese Weise zur Toilette zu gehen ist lebensgefährlich. Die riesigen furchtlosen tibetischen Hütehunde, die tagsüber entweder an der Kette liegen oder schlafen, erwachen bei Einbruch der Dämmerung zu ihrer Lebensbestimmung. Diese ist: Terror und Angst verbreiten.

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Als auch nach Tagen die ersten Anzeichen der Höhenkrankheit nicht besser wurden und Ralph mehrere Nächte nicht geschlafen hatte, weil er nicht mehr genug Luft bekam, entschieden wir, die Fahrt übers Hochplateau abzubrechen und nahmen schweren Herzens einen Kleinlaster zu Hilfe. Wir wussten ja, dass die Höhenkrankheit eine sehr ernste Angelegenheit ist (s. unseren Bericht „Auf dem Dach der Welt“).

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 So landeten wir in Yushu, einem kleinen Städtchen, das nach einem schweren Erdbeben 2010 (2700 Tote) fast komplett zerstört wurde und nun recht hübsch wieder aufgebaut ist. Hier hatten wir zur Abwechslung mal wieder eine nette Begegnung mit der Polizei. Wir hatten uns im Internet ein Hotel ausgesucht, von dem wir annahmen, es sei für Ausländer erlaubt. Natürlich lag es weder dort, wo es auf der Karte eingezeichnet war, noch hieß es so, wie es heißen sollte, ein Irrsinn, der für uns schon zur Normalität geworden ist. Wir standen vor dem richtigen Haus, das aber kein Hotel war. Wir waren müde, krank, kaputt und genervt und es schneite. Da riss Ralph der Geduldsfaden. Er rief: „Jetzt geh ich zur Polizei!“. Bevor ich ihn noch von dieser, wie ich fand, bescheuerten Idee abhalten konnte, denn wir versuchen uns vor der Polizei immer so unsichtbar wie möglich zu machen, war er schon auf die nächste Gruppe Polizisten zugetreten. Ich zog den Kopf ein und sah uns schon die nächsten Stunden auf einer Wache statt endlich in einem warmen Bett zu verbringen. Doch diesmal kam alles ganz anders. Wir lernten Tashi kennen. Einen Tibeter bei der chinesischen Polizei, ebenfalls begeisterter Radfahrer, der uns persönlich zu einem wunderbaren Hotel brachte und so lange an meiner Seite blieb, bis das beste Zimmer für uns gefunden war und er uns geholfen hatte, unser Gepäck in den 5. Stock zu tragen, wobei er seine Uniform ziemlich dreckig machte. Schließlich lud er uns gemeinsam mit seinem Kollegen zum Galadiner ein und versuchte eine geschlagene Stunde lang, unsere illegale Simkarte wieder aufzuladen. Sein Kollege und er schauten uns allerdings beim Essen zu und aßen selbst gar nichts – vielleicht eine hier übliche Art besonderer Höflichkeit. Tashis Entgegnung auf unser Erstaunen über dies Verhalten und die Einladung zum Essen: „Der Geist des tibetischen Volkes ist Freundlichkeit.“

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Selbstprüfung

Wir waren froh, dass wir wieder „unten“ waren. Die Kälte auf dem Hochplateau war hart. Unten hieß im diesem Fall auf 3700 Metern über Meer. In Yushu erholten wir uns von der Erkältung (Ralph) und von dem stechenden Kopfweh, erstes Anzeichen der Höhenkrankheit (Imke). Wir mussten uns überlegen, wie es weitergeht. Sollten wir trotz der zunehmenden Kälte unsere Fahrt wie geplant durch den Himalaya fortsetzen? Wollen wir so weitermachen? Immer wieder haben wir auf unserer Reise diese Entscheidung für jeden Abschnitt neu treffen müssen. Nie jedoch ist es uns so schwer gefallen wie für diesen vor uns liegenden Abschnitt.

Denn wir wussten: Das wird sicher eine der härtesten Strecken und das Leiden würde uns auf den kommenden 1100 Kilometern weiter garantiert sein. Fast zwei Tage rangen wir intensiv und hart mit uns selbst: Warum tun wir uns das an? Das Wetter wird durchwachsen werden und es ist so kalt, dass es bis in die Niederungen (auf 3700 Meter!) schneit. Hat uns die Dauerbelastung der letzten Monate schon geschwächt, so dass wir Tiefenerholung brauchen, die sich nicht innerhalb weniger Tage wieder einstellt? Sollten wir nicht einfach den Bus raus aus dem Hochgebirge nehmen und im Bambus-Reis-China bei gemäßigten Temperaturen ein bisschen vor uns hinradeln? Immerhin ist das doch unser Urlaub! Auch wenn es manche wundert: Das denken wir wirklich! Setzen wir unsere Gesundheit oder Schlimmeres aufs Spiel? Die letzte Frage stellen wir uns täglich und diese Frage ist für uns immer Ausschlusskriterium all unserer Pläne. Nicht eine Sekunde würden wir zögern und abbrechen, wenn wir denken die Pläne seien in dieser Hinsicht unverantwortlich.

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Unsere Prüfung ergibt: Sie sind es nicht. Also bleibt die Frage, ob es andere Gründe gibt unsere Route zu ändern und hier abzubrechen. Wir merkten beide, dass uns diese Frage belastete. Wir sind bedrückt und unausgeglichen in den grüblerischen zwei Tagen.

Immer wieder prüfen wir den Wetterbericht und schauen aufs Höhenprofil. Tagsüber hat es 10 Grad Höchsttemperatur hier in Yushu, nachts leichten Frost. 1000 Meter höher sieht es entsprechend ungemütlicher aus. Wir müssen damit rechnen meistens im Zelt zu schlafen. Es gibt dort oben eine Handvoll Dörfer, in denen es aber sicher keine Möglichkeit gibt sich aufzuwärmen. Es werden Drecksnester sein, einfacher Laden, eine Tanke. Meistens werden wir deutlich über 4000 Meter sein, jeden zweiten Tag ist Regen oder Schnee angesagt. Zwar nicht so viel, dass wir eingeschneit werden würden; aber – Wahrheit im Sattel: „Nass wird man auch mit wenig Wasser.“ Erstmal nass fühlen sich auch schon 10 Grad widerlich kalt an.

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Warum tun wir uns das an? Wir stellen uns diese Frage selten, eigentlich fast nie. Aber in den letzten beiden Tagen haben wir uns gefragt: Warum?

Unterdessen finden sich in unseren Berichten Antworten darauf, warum wir so viel auf uns nehmen. Für uns hat sich zu einer erfahrbaren Wahrheit verdichtet, dass wir in jedem Aufbruch immer wieder erneut finden, warum es trotz des Leidens im Sattel ein großes Glück ist, raus in die Welt zu fahren. Eher theoretisch und philosophierend finden sich einige Erklärungsversuche auf unserer Seite „Wir/Warum?“ (klick).

Wir haben also unsere innere Entschlossenheit geprüft, wir haben unsere Fitness abgeklopft mit dem Diagnosehämmerchen der langjährigen Radfahrererfahrung und wir haben beschlossen: Es geht wieder in den Sattel. Es liegen 1100 Kilometer vor uns bis zur anderen Seite des Himalaya, dort wo die tropischen Vorgebirge von Laos und Myanmar schon zu riechen sind.  Von hier nach da – Himalaya!

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Durch Tibet

Ich bin froh über unsere Entscheidung, weiter durch Tibet zu fahren. Das, was wir in diesen Tagen erleben, gibt uns einen beeindruckenden Einblick in die tibetische Kultur. Längst sind nicht mehr nur Gebetsfahnen auf den Pässen zu sehen. Wir fahren täglich an tibetischen Klöstern vorbei. Auch wenn fast alle während der chinesischen „Kulturrevolution“ zerstört wurden, finden wir doch noch ältere Gebäude, die von der langen Geschichte des tibetischen Buddhismus hier zeugen. Der Alltag der Tibeter ist von Religiosität geprägt: Wir sehen viele Menschen mit kleinen Gebetsmühlen in den Händen durch die Straßen gehen. Sie umrunden die Klöster, drehen die großen Gebetsmühlen oder summen im Laden während des Wartens das „Om mani padme hum“ vor sich hin. Für den tibetischen Buddhismus sind die sechs Silben „Om mani padme hum“ Ausdruck der grundlegenden Haltung des Mitgefühls. In ihrer Rezitation drückt der Betende den Wunsch nach Befreiung aller Lebewesen aus dem Kreislauf des Wiedergeborenwerdens aus.

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In kleinen Hütten neben Stupas weit oben auf dem Berg sitzen Mönche, die sich meditierend in die Einsamkeit zurückgezogen haben und tagaus, tagein diese Mantras in Lautsprecher singen, die der Wind über das Tal trägt. Wir hören sie von Tonbändern an den heiligen Orten auf den Gipfeln der Pässe, wenn der Sturm an den hunderten Gebetsfahnen zerrt. Pilger, die uns auf den Schlammstraßen im neu gefallenen Schnee begegnen, summen es vor sich hin. Es steht auf Felsen eingemeißelt, hoch über der Straße, auf riesigen Findlingen in den Flüssen und auf kleinen bunten Manisteinen, die zu langen Mauern aufgeschichtet mitten im weiten Grasland stehen.

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Die meisten Tibeter scheinen gut gelaunt zu sein. Oft winkt uns die ganze Familie vom Moped aus lachend zu und ruft uns den tibetischen Gruß „Tashi delek!“ entgegen. Die Männer mit Cowboyhut, tibetischem Ein-Ärmel-Mantel und cooler Sonnenbrille, die Frauen mit vielen geflochtenen Zöpfen und buntem Schmuck wie Indianerinnen. Wir sind im Gebiet der Khampas unterwegs. Bewohner der tibetischen Provinz Kham, die früher als wildes Reiter- und Räubervolk bekannt und gefürchtet waren. Auch Sven Hedin, dessen Reisen wir ja nach dem Fund seiner Unterhose in der iranischen Wüste Dasht-e-Kavir mit noch größerem Interesse folgen, hatte mit ihnen zu kämpfen. Sie sind größer gewachsen als die anderen Tibeter und sehen auch heute noch ein wenig furchteinflößend aus. Sie führten in den 50er und 60er Jahren einen Guerillakrieg gegen die chinesischen Kommunisten und sicherten im März 1959 die abenteuerliche Flucht des Dalai Lamas ins indische Exil.

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Diese Widerstandstradition der Gegend und ihrer Bewohner äußert sich auch im andauernden Widerstand gegen die chinesische Besetzung Tibets und die Unterdrückung des Buddhismus hier. In den Regionen Amdo und Kham, durch die wir jetzt fahren, gab es seit 2009 die meisten Selbstverbrennungen von tibetischen Mönchen und Nonnen. Diese traurigste Art des Protestes gegen die brutale chinesische Politik hier in Tibet (Ähnliches berichteten wir auch Xinjiang) ebbte erst in den letzten Jahren ab, da die Behörden angefangen hatten hinterbliebene Angehörige und Familien hart zu bestrafen. Klöster, aus denen Mönche und Nonnen kommen, die sich aus Protest selbst verbrennen, müssen mit der Schließung rechnen. Unsere Fahrt durch diese Gegenden ist immer auch durch diese Ereignisse gefärbt: Einerseits die große Freundlichkeit der Tibeter, andererseits ihre verzweifelte Entschlossenheit in der Verteidigung ihrer Kultur und die kompromisslosen Polizeistaatsmaßnahmen der Regierung.

Zuweilen ist es schon ein sehr merkwürdiges Gefühl, sich in einer so fremden Welt so weit weg von Zuhause so selbstverständlich zu bewegen, wie wir es tun. Wenn wir auf Googlemaps gelegentlich unsere Strecke recherchieren und ich dann diesen kleinen blauen Punkt inmitten des größten Gebirgssystems der Welt sehe, in dieser riesigen, kalten Abgeschiedenheit, durchfährt mich der Gedanke: „Mann, sind wir sonstwo.“

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Einladung ins Kloster

Wir sitzen in der Sonne auf den Stufen eines Klosters und genießen die Wärme. Da hebt sich der Vorhang hinter uns, und ein Dutzend Mönche tritt heraus auf den Kiesplatz. Sie beginnen in kleinen Gruppen mit einer buddhistischen Lehrdiskussion, bei der sie sich in die Hände klatschend laut die Argumente entgegenwerfen und dabei hüpfende Schritte aufeinander zu machen.

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Etwas verschämt ziehen wir uns mit dem Gefühl, Zeuge von etwas zu sein, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, vor das Tor des Klosters zurück und beobachten aus der Entfernung das Geschehen. Nach kurzer Zeit kommt eine Gruppe von Mönchen auf uns zu. Sie umringt einen Mann, der ein wenig Englisch spricht und sich als Abt des Klosters vorstellt. Er scheint sich über unser Interesse zu freuen und ist selbst sehr neugierig, woher wir kommen und wie und warum es uns hierher verschlagen hat. Wir erzählen unsere Geschichte, zeigen ihm unsere Route auf der Karte und sind schnell in ein freundliches Gespräch verwickelt. Die übrigen Mönche, die nichts verstehen, untersuchen derweil die Räder, betrachten sich in unserem Rückspiegel, probieren die Klingel aus, staunen über die Kilometer auf dem Tacho und – so habe ich wirklich den Eindruck – segnen meinen Packsack. Auf jeden Fall scheinen sie es sehr angenehm zu finden, ihre Hände sanft auf unseren staubigen Packsäcken ruhen zu lassen. Wir erkennen darin wieder, wie wichtig es hier ist beim Gespräch den Kontakt zu halten, indem man die Hand des Gegenübers festhält, minutenlang.

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„Möchtet ihr mehr über das Kloster erfahren?“ fragt uns der Abt schließlich. „Ich lade euch ein!“ Selbstverständlich wollen wir! Weg ist der Vorsatz, heute ein paar mehr Kilometer als gestern zu machen. Ich schiebe nun mein Rad, kräftig unterstützt von ein paar Teenie-Mönchen, durch die verwinkelten kleinen, mit wilder Pfefferminze zugewachsenen Wege durch die einfachen Lehm-Klausen bis hin zu einem besonders winzigen Häuschen, das eng an den Berg geklemmt dasteht und nur aus einem Raum besteht. Wir ziehen die Schuhe aus und kriechen in eine dunkle Klause, die nur von einem handgroßen Loch in der Wand erhellt wird. Es brennen Butterlampen, kleine Götterstatuen und Fotos des Dalai Lama sind an den Wänden aufgereiht, tibetische heilige Schriften, in Stoff eingeschlagen, lagern bis unter die Decke. „Hier lebte und starb der ehemalige Abt unseres Klosters. Ein großer Ringpoche. Er zog sich hierher zur Meditation zurück und verließ diesen Raum jahrelang nicht. Er wird bald wiederkommen. Wir warten auf seine Reinkarnation.“

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Wieder draußen im Sonnenlicht, ertönt plötzlich ein lauter Gong. Auf dem Dach des Klosters steht ein rotgekleideter Mönch und ruft zur Puja, dem Mittagsgottesdienst. Auch uns wird ein Platz zugwiesen mit Blick auf die goldene Buddhastatue. Nach und nach füllen die Mönche den Raum, die kleinen Jungs und Teenager kommen auf Socken hereingeschliddert und kichern und tuscheln über die komischen Besucher, die Allercoolsten springen mit dem letzten Gongschlag auf ihren Platz. Auch nicht anders als in der Schule. Dann erleben wir den befremdlichen Gesang eines tibetischen Gottesdienstes und bekommen wie alle anderen Mönche auch unser Mittagessen: in der Kälte dampfenden gesalzenen Buttertee und Tsampa (ein Brei aus gerösteten Gerstenkörnern) mit Yakbutter. Wir sind mittendrin. Und denken an den kleinen blauen Punkt auf Googlemaps in der riesigen unbesiedelten Landmasse des Himalaya.

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Das Knurren der Wölfe

Wir wussten, dass ein Schlechtwettereinbruch am Sonntag kommen würde. Deswegen hatten wir uns gestern bis auf die Knochen gequält, um eine Ortschaft zu erreichen, von der wir wussten, dass es eine einfache Unterkunft geben würde. Die Ortschaftsnamen gebrauchen wir fast nicht mehr, denn erstens gibt es fast immer mehrere chinesische Namen für die ursprünglichen tibetischen Bezeichnungen. Beide können wir natürlich nicht lesen und die lateinische Umschrift (also die dritte abgeleitete Namensbezeichnung) ist dann so weit weg vom ursprünglichen Namen, dass es sowieso kein Einheimischer aus unserem Mund versteht. Auch haben wir auf den verschiedenen Landkarten je unterschiedliche Namen, die keinerlei Gleich- oder Ähnlichklang haben. Heute Nacht hat es ununterbrochen geschneit und wir waren sehr froh, nicht im Zelt übernachten zu müssen. Ein Weiterfahren ist heute nicht möglich, denn vor uns liegt der nächste Pass über 4500 Meter Höhe. Wir werden morgen weiter fahren, wenn der gröbste Schnee getaut ist. Das Dzogchen-Kloster, unterhalb dessen sich die kleine Ortschaft befindet, in der wir heute übernachten, ist ein sehr großes Kloster, das fast das ganze enge Seitental ausfüllt.

Wie muss man sich unser Vorankommen im Moment vorstellen? Mein Bruder fragte mich: 1.) Habt ihr heute im Zelt übernachtet? 2.) Habt ihr gefroren? 3.) Wie dick ist euer Schlafsack? 4.) Schlaft ihr in der Kleidung? 5.) Esst ihr genug fettes Fleisch (denn von chinesischen Nudeln kann man nicht fahren)? 6.) Habt ihr auch gesalzenen Buttertee getrunken? 7.) Was macht ihr wenn ihr aufs Klo müsst? 8.) Wie hoch seid ihr eigentlich und habt ihr keine Anzeichen von Höhenkrankheit?

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1.) Die Region ist so dünn besiedelt und die wenigen Häuseransammlungen sind so ärmlich, dass wir fast immer im Zelt übernachten. Wir könnten auch an Türen klopfen und uns ins Haus einladen lassen. Aus verschiedenen Gründen ziehen wir aber fast immer das Zelt vor. Dort ist unterdessen unsere kleine, portable Heimat. Die Armut hier ist so groß, dass Übernachten in den Häusern der Tibeter meist kein „Komfortgewinn“ für uns wäre. Außer heute Nacht, da waren wir froh unter einem Dach zu schlafen, denn es hat die ganze Nacht geschneit. Meist versuchen wir weit entfernt von den menschlichen Ansiedlungen einen Zeltplatz zu finden. Nach dem Motto: je weniger Menschen, desto sicherer. Allerdings haben uns in den letzten Tagen die Wölfe zunehmend Probleme bereitet. Naja, „Probleme“ ist vielleicht etwas falsch ausgedrückt. Wir hörten sie schon die letzten Nächte immer wieder heulen. Bisher hatten wir aber immer den Eindruck, dass sie sich scheu vor Menschen verhalten. Dann aber kamen sie nachts auf etwa einen Kilometer,  500 Meter, in unsere Nähe. Wir schätzten das grob ein, an der Lautstärke des Heulens. Vorvorletzte Nacht allerdings kamen sie bis ans Zelt und wir hörten sie in wenigen Metern Entfernung knurren. Das beunruhigte uns, so dass wir die letzte Nacht in unmittelbarer Nähe der Siedlung neben dem Haus einer sehr freundlichen Familie das Zelt aufstellten.

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2.) Ja, wir frieren. Tagsüber hat es knapp unter 10 Grad, nachts unterdessen um -10 Grad. Vor allem am Ende eines Radtages – wenn man immer wieder geschwitzt hat und dann der Kreislauf runterfährt – ist uns immer kalt. Ab November wird es noch einmal deutlich kälter. Für übermorgen ist ein Temperatursturz von 10 Grad Celsius angesagt. Dann werden die Temperaturen auch tagsüber höchstens um den Gefrierpunkt sein.

3.) Da hilft nur der 1000-Gramm-Daunen-Schlafsack.

4.) Ja, wenn es kälter als – 5 Grad wird, dann ziehen wir im Schlafsack schon mal lange Skiunterwäsche an. Je kälter, desto mehr wird angezogen: Hose, Fleece, Wollmütze …

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5.) Fettes Fleisch ist hier leicht erhältlich. Fettes Fleisch und Kekse. Ja, wir kochen leider auch zu oft chinesische Fertigsuppen mit Nudeln und sie hängen uns schon zum Hals heraus. Was wir sicher zu wenig essen: frisches Gemüse und Obst. Wir haben unsere schwachen Tage auch schon auf eine länger anhaltende (seit Usbekistan) Mangelernährung zurückgeführt. Wissen aber nicht, wie wir dem entgegenessen sollen. Das Sortiment ist hier einfach beschränkt und die Nomaden bauen bekanntlich wenig Früchte an.

6.) Mit gesalzenem Buttertee halten wir uns zurück, nicht weil er uns nicht schmecken würde, sondern weil wir wissen, woher das Wasser für den Tee kommt. Wir versuchen so oft wie möglich unser Trinkwasser zu filtern. Vor einigen Tagen waren wir im Kloster eingeladen. Dort haben wir mit den Mönchen Tsampa und gesalzenen Buttertee  zu uns genommen. Danach ging das Radfahren deutlich besser. Vielleicht aber auch, weil der Abt des Klosters versprochen hat für uns zu beten.

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7.) Wir machen das, was alle Menschen machen, wenn sie aufs Klo müssen. Um den Toilettengang wird hier, wo es kilometerweite Flächen ohne Vegetation und ohne morphologische Verstecke gibt, kein großes Gewese betrieben. Ganz so schamlos routiniert wie die Einheimischen sind wir allerdings (noch) nicht.

8.) Wir sind mit wenigen Ausnahmen jetzt seit rund vier Wochen permanent auf über 4000 Metern Höhe. Wir spüren die Einschränkungen der Höhe nicht mehr so heftig wie in den ersten Tagen, die Begleiterscheinungen sind uns aber täglicher Begleiter: Wir haben wenig Appetit und zwingen uns meist zum Essen; der Magen sitzt etwas höher als gewöhnlich, knapp unter der Kehle, so eine Art Vorstadium der Übelkeit; wir bekommen Erstickungsanfälle, wenn wir während des Radfahrens mehr als zwei Sätze am Stück reden; die Muskeln fühlen sich fast immer leer an und die Tagesetappen fallen uns schwerer als sonst, weil wir uns schlapp fühlen. Allerdings schlafen wir wieder tiefer und wachen nicht mehr auf, weil wir nach Luft schnappen müssen. Auch das Kopfweh der ersten Tage ist ganz verschwunden. Öfter vergessen wir die Höhe und sind frustriert über unsere Schlappheit beim Radfahren, dann erinnern wir uns gegenseitig daran, dass wir den ganzen Spaß hier auf über 4000 Metern Höhe betreiben.

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Persönliche Bereicherung: Der Geber ist der Beschenkte

Die meiste Zeit unserer Reise mit dem Fahrrad um die Welt verbringen wir in dünn- oder beinahe unbesiedelten Gebieten. Wir berichteten ja schon, dass man als Bewohner/in der gemäßigten Zone in Zentraleuropa vergisst, dass ein Großteil der Welt aus Wüste und Halbwüste besteht. Wenn wir dann in besiedelte oder städtische Gebiete kommen auf unserer Reise, dann treffen wir auf Lebensbedingungen, die immer deutlich weniger wohlhabend sind, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Auch das vergisst man in Zentraleuropa: Die überwältigende Mehrheit unserer Mitmenschen lebt in bitterer Armut. Wir haben das immer sehr schockierend vor Augen. Die meisten Häuser sind aus Lehm, bestehen nur aus einem Raum und haben keinen Wasseranschluss. Ein Klo gibt es nicht. Die Menschen waschen ihre Haare und das Geschirr selbst in den kleinen Städten auf der Straße. Die Nomaden leben von dem, was sie selbst produzieren. Ihr Tagesablauf wird vom Leben mit den Tieren bestimmt. Der unwirtlichen Wildnis hier muss das Leben täglich abgerungen werden. Die Gesichter der Menschen hier sind davon gezeichnet, ihr Alter können wir unmöglich schätzen und liegt meist weit unter dem ihres Aussehens. Es gibt viele Menschen, die auf der Straße hockend ihr Geld verdienen durch Schuhe putzen, Näharbeiten, durch Betteln.

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Das alles sticht uns besonders deswegen in die Augen, weil wir als Radfahrer nicht in behüteter touristischer Infrastruktur unterwegs sind, sondern die ärmlichen Lebensbedingungen oft mit den Einheimischen teilen müssen: die Unterkunft, das Essen, das Trinkwasser, die fehlende medizinische Versorgung, die extremen klimatischen Bedingungen ohne Schutz. Uns begegnen die Ärmsten, auch weil dieser Teil der Menschheit meist eng verbunden mit den Straßen dieser Welt lebt – auf denen wir unterwegs sind.

Durch unser Leben auf der Straße und angesichts der Armut begleitet uns immer wieder die Frage: „Wie begegnen wir Bettlern?“ Täglich treffen wir sie: Menschen, die für ihr tägliches Überleben andere um Hilfe bitten. Wir haben eine klare, entschiedene Haltung: Wir geben allen, die uns bitten! Wir geben Geld, wir teilen unser Essen, wir laden zum Essen ein, kaufen Brot, zahlen ein Busticket. Wir geben allen ohne uns ein Urteil zu erlauben und sind dankbar darüber. Nicht sind wir dankbar darüber, weil wir uns dann jedes Mal klar werden, dass wir so reich sind. Das ist zwar ein beruhigendes (und beschämendes) Gefühl angesichts der Armut. Nein, das Dankbarsein hat einen anderen Grund. Um das zu erklären, möchte ich andere hier sprechen lassen: Mahmud aus Mashad und den Abt des buddhistischen Klosters, der uns vor kurzem begegnet ist.

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Mahmud, ein gläubiger Muslim, verkörpert es auf beeindruckende Weise, was er selbst eigentlich gar nicht aussprechen muss: Für ihn scheint die Tatsache, dass er in der Lage ist, anderen zu helfen, ein Gottesgeschenk zu sein. Er spricht davon in wohlüberlegten Worten der Dankbarkeit. Dankbarkeit darüber, dass er ohne Eigennutz andere unterstützen kann. Wir nehmen es ihm ab, denn man merkt es an seiner Art auf Menschen zuzugehen, dass er es als Privileg versteht, helfen zu dürfen. Dabei geht es nicht oder fast nie um Geld. Andere unterstützen ist ein Lebenssinn und eine ehrenhafte Lebensaufgabe. Klar ist bei Mahmud: Es geht nicht um Networking, von dem man unterm Strich dann selbst am meisten profitiert. Nein, wenn man von persönlicher Bereicherung sprechen möchte, dann geht es um eine Bereicherung der eigenen Seele. „Menschen, die Hilfe brauchen, schickt mir Gott, um mir die Möglichkeit zu geben zu helfen und mich das Glück erleben zu lassen, helfen zu können.“ So erleben auch wir Mahmud, ein großzügiger Mensch, dem es zu einer Leidenschaft geworden ist zu helfen: das Gegenteil einer armseligen Haltung – Geben als Seelenbereicherung.

Der Abt des buddhistischen Klosters sagt es so: „Es ist nicht unser Verdienst, dass wir in einer besseren Lage sind als der Bettler, der uns bittet. Wir stehen nicht über ihm. Er ist ein Ebenbürtiger, der vor unseren Augen leidet. Wir müssen also dankbar sein, dass er uns die Möglichkeit gibt, ihm zu helfen und uns so die Chance geboten wird uns als würdiges Mitgeschöpf zu erweisen.“ Für den Buddhismus ist das Mitgefühl oder Mitleid mit allen Lebewesen ein wichtiger Bestandteil der Lebens- und Glaubenshaltung.

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Uns beschäftigt die Armut, der wir in allen bereisten Ländern begegnen, immer wieder. Oft reden wir miteinander über dieses Thema. Viele Fragen schließen sich dazu an: Reicht es Geld zu geben? Wie kann man die Gründe für Armut bekämpfen? Welche systemischen Bedingungen des Kapitalismus führen zu einer ungleichen Verteilung des Wohlstands? Was sind die politischen Schritte, die gegangen werden müssen zur Bekämpfung der Armut und der Chancenungerechtigkeit? All das sind wichtige Fragen, die beantwortet werden müssen.

Wenn aber der Bettler vor uns steht, dann steht da ein Mensch, der uns anschaut und der uns jetzt um Hilfe bittet. Wir sind der Meinung, dass dann in diesem Moment vor allem die Barmherzigkeit und die Solidarität zwischen mir und ihm das Entscheidende sind. Das gefällt mir auch an unserer eigenen Religion des Christentums. Barmherzigkeit ist geradezu eine Wesenhaftigkeit des Menschseins. Barmherzig zu sein macht mich zum Menschen. Christen glauben ja an einen Gott, der sich auf die Seite der Armen und Hilfsbedürftigen stellt. Die Message der Bibel dazu ist unmissverständlich: Gott begegnet uns in den Armen, Unterdrückten und Hilfsbedürftigen. So gesehen ist unsere Reise eine Reise zu Gott. Denn die Armen und die Unterdrückten sind die Menschen, die uns auf der Straße oft begegnen. Und das bedeutet für uns: Wenn ich helfen kann, muss ich helfen.

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Wer sich jetzt ganz praktisch fragt: „Ich kann doch nicht JEDEM Bettler etwas geben?“, dem können wir nur sagen: Doch, kann man. Wir tun es seit mehreren Jahren und wir sind dadurch nicht arm geworden. Im Gegenteil.

Darüber hinaus wissen wir natürlich, dass das Armut produzierende System nicht geändert wird, indem wir hier und da mal ein bisschen Geld einem Bettler geben. Aber dafür versuchen wir uns ja auch in bescheidenem Rahmen darüber hinaus zu engagieren und unterstützen Fairen Handel und das Schulprojekt der Gebhard-Müller-Schule in Indien, zu dem wir ja schließlich gerade unterwegs sind. Wir freuen uns übrigens schon sehr darauf dort anzukommen. Mit dem Direktor von Gravis (s. Projekt) haben wir schon Kontakt aufgenommen und werden ihn Anfang Dezember in Jodhpur treffen. Dann geht’s weiter zur Schule am Steinbruch. Das gehört für uns zu den unfassbarsten Dingen dieser Reise: Bald werden wir an „unserer“ Schule ankommen und vor den indischen Schülern stehen und ihnen erzählen können, dass es Schüler in Deutschland gibt, die sich für sie einsetzen.

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